Erfahrungsbericht Abitur

Erfahrungsbericht AbiturDas Jahr 2004 war ein sehr anstrengendes Jahr, denn in diesem habe ich mein Abitur an einem Abendgymnasium absolviert – neben einer ganz normalen Arbeitswoche, in der ich rund 40 Stunden im Office eines örtlichen Kabelfernsehanbieters verbracht habe. Mein Job als Sachbearbeiterin war sicher und, für meine Region zumindest, auch recht gut bezahlt. Ich wollte aber mehr vom Leben und vor allem wollte ich eine neue Herausforderung. Deshalb schrieb ich mich für das dreijährige Abendgymnasium ein.

Eine herausfordernde und sehr intensive Zeit

In diesen drei Jahren war ich oft genug kurz davor, meine Träume von Abitur und Studium wieder hinzuwerfen und mich wieder ganz auf meinen Job und mein Privatleben zu konzentrieren. Denn eines muss einem zukünftigen Abendschüler bewusst sein: Job und Schule verschlingen die gesamte freie Zeit, so dass für private Angelegenheiten wie Freundschaften, Partys oder gar eine Beziehung keine Zeit mehr blieb.

Andererseits habe ich meine Klassenkameraden an der Abendschule sehr zu schätzen gelernt. Dadurch, dass man so viel Zeit miteinander verbringt und dasselbe Ziel verfolgt, wächst man mit der Zeit zu einer Art Ersatzfamilie zusammen. Somit habe ich meine Jahre am Abendgymnasium nicht nur als intellektuell und als zeitlich herausfordernd, sondern auch als sehr intensiv erlebt.

Unterricht bis 21:30 Uhr – an fünf Tagen in der Woche

Damals fand das Abendgymnasium an fünf Tagen der Woche jeweils von 16:45 bis 21:30 Uhr statt. Sich zu diesen Zeiten und dann auch noch nach einem anstrengendem Arbeitstag auf Fächer wie Mathematik oder Physik konzentrieren zu können, war oftmals Schwerstarbeit. Zumal ein Besuch der Schule für viele meiner Klassenkameraden ein organisatorischer Drahtseilakt war: Ich hatte glücklicherweise regelmäßige Arbeitszeiten und konnte – dank einer verständnisvollen Chefin – jeden Tag um 16 Uhr Feierabend machen, andere Mitschüler kämpften dagegen mit Schichtarbeit und/ oder unwilligen Vorgesetzten.

Heute ist die Lage an vielen Abendgymnasien deutlich entspannter: Anstatt an fünf Abenden in die Schule gehen zu müssen, wird jetzt oft auf Blended Learning gesetzt. An meiner alten Schule sieht das neue Konzept nun Unterricht an zwei Abenden in der Woche, dafür aber regelmäßig Blockunterricht am Wochenende sowie verstärktes Selbstlernen vor. Von anderen Abendgymnasien weiß ich, dass dort verschiedene Konzepte zur Auswahl stehen. So kann sich jeder Schüler das Konzept aussuchen, welches am besten zu seiner Lebenssituation passt.

Abitur am Abendgymnasium bedeutet drei Jahre harte Arbeit

Jeder Abendgymnasiast beginnt zunächst mit der so genannten Einführungsphase in Klasse 11, in welcher grundlegendes Schulwissen reaktiviert sowie die Grundlagen für die Abiturstufe gelegt werden sollen. Welche Fächer dabei Pflicht sind und welche frei gewählt werden können, ist dabei von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Zwingend sind allerdings immer die zweite Fremdsprache sowie die Kernfächer Mathematik und Deutsch. Die darauf folgenden beiden Jahre bereiten schließlich auf das Abitur vor. Anstatt fester Schulklassen gab es, ebenso wie bei einem normalen Gymnasium, ein Kurssystem aus Grund- und Leistungskursen mit unterschiedlichen Niveaustufen. Da ich sprachlich sehr interessiert war, entschied ich mich für Deutsch, Englisch und Biologie als Leistungskurse – Unterrichtsumfang je vier Stunden pro Woche – und die restlichen Fächer Französisch, Mathematik, Physik, Chemie, Geschichte, Sozialkunde und Philosophie als Grundkurse mit je zwei Stunden pro Woche.

Abitur am Abendgymnasium – heute würde ich mich anders entscheiden

Nachdem ich 2004 meine Prüfungen abgelegt und endlich das Abitur in der Tasche hatte, war ich unglaublich stolz. Ein immenser Kraftakt lag hinter mir und ich wusste, nun kann ich mich endlich in mein Traumstudium stürzen. Allerdings muss ich – aus heutiger Sicht – auch sagen, dass ich mich nicht wieder für ein Abendgymnasium entscheiden würde. Die Anstrengungen und Opfer, die man dafür bringt, sind immens hoch. Das liegt zum Teil aber auch daran, dass ich für mein Studium im Grunde gar kein Abitur gebraucht hätte: Eine abgeschlossene Berufsausbildung sowie einige Jahre im Job hätten, neben einer bestandenen Zugangsprüfung, für die Universität vollkommen ausgereicht.